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Transformation der akademischen Ausbildung der Sozialen Arbeit

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie war der Zugang zu der (nicht digitalen) Infrastruktur der Hochschulen für Studierende verboten. Damit wurde einer Digitalisierung der akademischen Ausbildung der Sozialen Arbeit Vorschub geleistet, welche als Modernisierungsprojekt gelesen werden könnte, weil Kompetenzen für den digitalen Umbau der Sozialen Arbeit erlernt werden. Anstatt dieser Perspektive zu folgen, werde ich die Paradoxien beschreiben, die mit dieser unvorhersehbaren und rasanten Entwicklung digitaler Hochschule einhergehen. Grundlage für die Ausführung ist ein autoethnografisch ausgerichtetes Seminar, indem diese Umstellung auf Home-University durch Studierende sozialraumanalytisch zum Thema gemacht wurde.

Die Digitalisierung ermöglicht eine Entkoppelung von der architektonisch gestalteten Infrastruktur der Universitätsgebäude durch eine scheinbare Raum-Zeitungebundenheit. Es ist ein Freisetzungsprozess von Studierenden par excellence. Während im liberalen Verständnis angenommen wird, dass durch die Digitalisierung eine breitere Teilhabe ermöglicht werde, indem auch ‚bildungsferneren‘ Personen zukünftig der Zugang zur Universität erleichtert würde (Ehlers 2020), geht es im Folgenden darum aufzuzeigen, dass es sich um ein potenziell leeres Versprechen handelt.

Die virtuellen Räume der Home-University sind eingebunden in konkrete materialisierte private Räume. Diese bleiben häufig unthematisiert, obwohl die Herstellung der Arbeitsbedingungen in privaten Räumen für einige Studierende eine Herausforderung ist. Die Wohnräume werden umstrukturiert und zeit-räumlich in Arbeits- und Erholungsräume differenziert, um ansatzweise ein Doing Home-University zu ermöglichen.

Beobachtbar ist, dass es in vielen Fällen weder gelingt, Zeit-Räume herzustellen, die es ermöglichen, sich den von der Home-University formulierten Anforderungen voll und ganz zu widmen; noch gelingt es, in den nun arbeitsdominierten eigenen Wohnungen ausreichend Raum zur Erholung zu bekommen. Die Herstellung der zeit-räumlichen Voraussetzungen für die Home-University aber auch der dafür notwendigen Kompetenzen einer Arbeits- und Erholungsfähigkeit werden in die Verantwortung der Studierenden verlagert und damit letztendlich privatisiert. Eine auf Dauer gestellte Digitalisierung der Hochschulen würde es notwendig machen, die räumlichen Voraussetzung zu schaffen. Das könnte zur Konsequenz haben, dass einige Studierende zukünftig noch mehr Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, um die materiellen Voraussetzungen zu erfüllen, an Hochschule teilhaben zu können.

Die Zerrissenheit zwischen verschiedenen Sozialräumen in der privaten Wohnung führt nicht nur zu inneren Konflikten, sondern auch zu äußeren, da dieses neue Raumarrangement erst einmal in Auseinandersetzung mit anderen hergestellt werden muss. Einige Studierende, vor allem solche, die alleine gelebt haben, sind zurück zu ihren Eltern gegangen, was teilweise mit Konflikten einherging, da der Prozess der Verselbständigung durch neue Abhängigkeiten unterbrochen wurde. Aber auch die, die weiterhin alleine lebten, mussten in der Isolation lernen, zurecht zu kommen.

Damit verliert die Sozialität des Studiums an Bedeutung. Informelle Lernmöglichkeiten während der Zwischenzeiten an der Universität, beim Mittagessen etc. liegen brach, sind aber Grundlage eines niedrigschwelligen Austauschs. Darüber hinaus gelingt unter diesen Bedingungen eine Politisierung der Studierenden kaum. Sie brauchen den informellen Kontakt, um zu sehen, welche Themen gerade ‚brennend‘ sind und um zu erkennen, wie Probleme, die als privat erscheinen, Ausdruck eines politischen Prozesses sind. Gerade informelle Räume ermöglichen eher, die Scham des Sprechens über das Private zu überwinden.

Die Universität als Einheit des Streits der Fakultäten löst sich auf. Während die Zugänge zum Labor, zur Musik etc. als hoch individualisierte instrumentelle Tätigkeiten erlaubt wurden, sind die diskursiven Räume in die digitale Lehre überführt worden. Hochschulische Bildung individualisiert sich. Mit der Änderung des Mediums verändern sich aber auch die damit gegebenen Möglichkeiten des Lernens. Es braucht spezifische hochschuldidaktische Methoden, um diskursive Räume herzustellen (z.B. ‚Constructive Alignments‘). Damit wird diskursives Wissen zu angepasster Verhaltenserwartung, die eine kritische Haltung konterkariert. Kontroverse Diskussionen in synchronen Formaten sind kaum zu erwarten, da die damit einhergehende Überschneidung zu Noise wird, anstatt Zwischenräume zu öffnen, in denen Neues entsteht.

Das Leiden mancher Studierenden unter den nicht wie im Fernstudium selbst gewählten Online-Formaten, das Zusammenbrechen der Vorstellungen, was es heißt zu studieren, führt bei vielen dazu, sich noch mehr der Praxis der Sozialen Arbeit und/oder dem Geldverdienen zu widmen. Damit wird dem schon längeren Trend der Employability gefolgt. Das liberale Bild der Zukunft der Universität impliziert, dass wir von einer Verberuflichung in eine Beschäftigungsfähigkeit überwechseln. Anstatt also überdauernde Curricula zu vermitteln, geht es um die Ausbildung von Kompetenzen (Ehlers 2020). Unter diesen strukturellen und diskursiven Bedingungen suchen sich Studierende ausgehend von teilweise auch sozialpädagogischen Beschäftigungen ohne Abschluss aus dem Lehrangebot das aus, was für die sozialpädagogische Praxis an Kompetenz nützlich ist. Die Idee der reflexiven sozialpädagogischen Allgemeinbildung tritt in den Hintergrund.

Durch Analyse können Lehrende wie Studierende sich mit den sozialen Bedingungen der Transformation der akademischen Ausbildung durch die Universität 4.0 auseinandersetzen, um die sozialpädagogischen Professionalisierungsmöglichkeiten durch ein Recht auf Universität auch in der Zukunft zu ermöglichen. Dabei geht es um die Wiederaneignung der Bedingungen der Wissensproduktion in Zeit und Raum als Zugang zu öffentlichen Räumen im „Zentrum“ der Wissensproduktion wie die Teilhabe an der Wissensproduktion (Jørgensen 2020).

Literatur

Ehlers, Ulf-Daniel (2020): Future Skills. Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Springer VS.

Jørgensen, Kenneth (2020): The University as a Public Space: The Right to the University. In: Stachowich-Stanusch, Agata; Lewis, Alfred; Stanusch, Natalia (Hrsg.): Humanistic Values from an Academic Community Perspective. Information Age Publishing, S. 13-31.

 

Zitiervorschlag: Hünersdorf, Bettina (2020): Transformation der akademischen Ausbildung der Sozialen Arbeit. In: Böhmer, Anselm; Engelbracht, Mischa; Hünersdorf, Bettina; Kessl, Fabian; Täubig, Vicki (Hrsg.): Soz Päd Corona. Der sozialpädagogische Blog rund um Corona. http://dx.doi.org/10.25673/33943

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