
13. Juni 2022
Zur Einstellung / Schließung des Corona Blogs
Als Herausgeber:innen des Blogs Soz Päd Corona blicken wir zurück auf eine fruchtbare und von intensivem Austausch geprägte Zeit. Als zu Beginn der Pandemie Ort, Formen und Worte der Reflexion noch rar waren, haben wir beschlossen, einen Blog einzurichten, der einen spezifischen historischen Zwischenraum eröffnet zur Reflexion. Dies schien uns umso mehr angezeigt, als die unterschiedlichen Formate, die dazu infrage kommen konnten, erst noch gesucht werden mussten. Aber auch die pragmatische Tatsache, dass Zeitschriften und Buchpublikationen längere Vorlaufzeiten haben, motivierte uns zu einem solchen Ort der ersten fachlichen Reflexion in der Sozialpädagogik.
Das Interesse an Blog-Beiträgen war auf Seiten der Sozialpädagogik sichtbar, unsere Motivation zum Blog speiste sich insbesondere aus der Idee der Zeitzeug:innenschaft. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Texten oder auch Podcasts erreichte uns und führte zu anfänglich regen und vielgestaltigen Aktivitäten und Austausch auf der Website. Mittlerweile etablieren sich wieder die „klassischen“ Orte der fachlichen Reflexion in Journals, Sammelbänden und Tagungen. Als Herausgeber:innen haben uns daher entschlossen, den Blog nun zu schließen keine weiteren Beiträge mehr einzustellen. Die bisherigen Beiträge werden weiterhin zugänglich sein, nicht zuletzt dank der vergebenen DOIs. Neben dem Blog selbst sind die Beiträge so auch dauerhaft unter der Seite https://opendata.uni-halle.de/handle/1981185920/34107 abrufbar.
Mit Schließung des Blogs ist alles andere als eine Abschließung des Phänomens ‚Corona-Pandemie‘ erreicht. Wir beobachten vielmehr einen Modus der Gleichzeitigkeit von neuen Routinen, einer scheinbaren mehr oder weniger großen Gelassenheit mit hohen Infektionszahlen und einigen, die an der Pandemie versterben; einer Gewöhnung daran, dass Institutionen der Daseinsvorsorge, wie Pflegeeinrichtungen, Kitas und (Hoch-)Schulen, aber auch Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen und andere Institutionen der Sozialen Arbeit immer wieder an ihre Grenzen kommen und aufgrund der Corona-Pandemie teilweise nicht mehr in der Lage sind, soziale personenbezogene Dienstleistungen anzubieten. Es ist eine neue Normalität entstanden in privater Care-Arbeit die Grenzen öffentlicher Care-Arbeit aufzufangen und an den Grenzen der Belastbarkeit zu arbeiten. Diese Arbeits- und privaten Care-Bedingungen haben zu einem merklichen Maß an Müdigkeit geführt, die immer mal wieder aufscheint, aber kaum systematisch reflektiert wird. Uns erscheint die Krisenhaftigkeit zum Normalzustand zu werden, an den wir uns gewöhnt haben und der nicht mehr mit einem befremdenden Blick des nun mehr Vertrauten gut beobachtet werden kann. Nach zwei Jahren Einsozialisation in die Krise stellen wir ein going native fest, in welchem wir zwischen Betroffenheit und Abgestumpftheit hin und her pendeln. Eine analytische Distanz zum beobachtbaren Phänomen – die für forschende Reflexion unabdingbare ‚Rückkehr aus dem Feld‘ – kommt abhanden, so dass die anfänglich noch möglichen Beobachtungen im Vergleich zum Bisherigen wegfallen.
Es bedarf nach unserer Überzeugung weiterer Reflexionsschleifen. Denn uns scheint, es sind noch nicht die passenden Begriffe in der Welt, um das Phänomen Corona zu fassen. Sozialpädagogische Deutungen in den Feldern haben auch politisch, kulturell Resonanz gefunden (etwa bei Ungleichheitsfrage, Unsichtbarkeitsfrage, Beschäftigungsfrage etc.), die aber entweder als nicht adäquat wahrgenommen werden oder neue Probleme hervorrufen. Wo sind die Orte der Ausarbeitung für passende Antworten? Wie gehen wir mit den verzweifelten, uns irritierenden, verstörenden Antwortversuchen um?
Wollen und können wir uns überhaupt noch die Zeit nehmen, uns mit dem Thema zu beschäftigen angesichts einer „Zeitenwende“ durch einen weiter tobenden Angriffskrieges in der Ukraine, welches uns ein Leiden vor unserer Tür zeigt, das exorbitant größer scheint und dessen Folgen wir gegenwärtig aber auch zukünftig unmittelbar erleben.
Vielleicht gelingt es, mit ein wenig Abstand noch einmal in anderer Weise auf das Thema der Corona Pandemie und deren Folgen für die Gesellschaft wie für die Sozialpädagogik bilanzierend zurückzuschauen sowie mehr zu und anderes zu verstehen, aber dafür bedarf es (einer anderen) Zeit.
Die Herausgebenden: Anselm Böhmer, Mischa Engelbracht, Bettina Hünersdorf, Fabian Kessl und Vicki Täubig